Meet our experts: Nico Herder // Luftfahrt-Produkte-Haftpflicht

Nico Herder, Underwriter Luftfahrtversicherung, spricht in unserem Experten-Interview über das Produkthaftpflicht-Risiko in der Luftfahrt, mittelständische Betriebe und Flugzeuge als fliegende Computer.

Interview / 16.05.2022

Herr Herder, bitte geben Sie uns doch einen Überblick, welche Risiken Delvag im Bereich Luftfahrt-Produkte-Haftpflichtversicherung absichert.
In erster Linie sichern wir das klassische Produkthaftpflicht-Risiko als sogenannte Ausschnittsdeckung ab. Das bedeutet, wenn ein Hersteller von Luftfahrzeugen oder dessen Teilen trotz umfangreicher Qualitätssicherung ein fehlerhaftes Produkt oder Teilprodukt in den Markt bringt, sichern wir das finanzielle Risiko aus möglichen Schäden ab, da das Luftfahrtrisiko üblicherweise in den allgemeinen Haftpflichtpolicen ausgeschlossen ist. Auch durchgeführte Dienstleistungen in diesem Bereich, wie beispielsweise die Wartung oder Reinigung, fallen unter die Absicherung. Im Kern bedeutet das, dass wir in diesem Segment keine Flugzeuge oder Piloten versichern, sondern Unternehmen aus der Luftfahrt-Industrie.

Das klingt ziemlich greifbar in Bezug auf die versicherten Produkte. Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Das Spektrum der versicherten Produkte und damit auch Unternehmen ist ziemlich umfangreich. Das geht von den Steuereinheiten im Wasserhahn der Flugzeug-Toiletten über den Hersteller von Armauflagen oder Esstischen, der die Sitzhersteller beliefert, bis hin zu Verkleidungselementen oder der Innenausstattung der Kabine.  Auch Hersteller von Gleitschirmen und damit die Absicherung von hergestellten Leinen oder Gurtzeug zählen wir zu unserem Kundenkreis, genauso wie Werkstätten für Wartung von Luftfahrzeugen jeglicher Art. Die Vielfalt macht diese Sparte aus meiner Sicht auch so spannend und manchmal ist man auch nach etlichen Berufsjahren noch überrascht, was alles im Detail produziert wird und wo unser Schutz Anwendung findet.

Wirklich spannend. An wen richtet sich unser Angebot in diesem Bereich konkret?
Wie schon erwähnt versichern wir in diesem Bereich Unternehmen der Luftfahrt-Industrie. Da wir selbst ein kleinerer und spezialisierter Versicherer sind, richtet sich unser Angebot vor allem an den klassischen Mittelstand, also kleinere und mittlere Unternehmen – auch KMUs genannt. Dabei dann über die ganze Wertschöpfungskette verteilt.  Das bedeutet vom Entwicklungsbetrieb über die Herstellung und den Vertrieb sowie Wartungs- und Reparaturbetriebe, die sogenannten MROs (Maintanance Repair Overhaul)

Die KMUs haben seit einiger Zeit das Problem, dass große Versicherer diese Art der kleineren Risiken oft nicht mehr bedienen oder hohe Mindestprämien erheben. Hier setzt Delvag an, da wir für unsere Kund:innen auch in diesem Bereich weiterhin attraktive Konditionen anbieten können.

Wie sieht ihr Aufgabenfeld als Underwriter in diesem Bereich aus?
Bei meiner Arbeit als Underwriter habe ich in diesem Bereich sehr viel Kontakt mit Maklern, da wir die Versicherungslösungen im Bereich Luftfahrt-Produkte-Haftpflicht ausschließlich über diesen Vertriebsweg anbieten. Hier ist viel Beratungs-Know-how und Erfahrung gefragt, um anschließend bedarfsgerechte Angebote erstellen zu können. Wichtig ist vor allem, dass der Deckungsschutz zur Haftungs- und Risikosituation passt. Wir unterstützen die Makler hier in allen Belangen, damit sie ihre und damit auch unsere Kund:innen bestmöglich in Bezug auf die entsprechenden Absicherungsmöglichkeiten beraten können. Maßgeschneiderte Lösungen wie beispielsweise die Berücksichtigung verlängerter Gewährleistungsfristen oder Freistellungs- und Regressvereinbarungen sind für uns selbstverständlich. Das Wichtigste aus unserer Sicht ist, dass es am Ende passt und es im Schadenfall nicht zu Deckungslücken kommt.

Zwei Pandemiejahre liegen hinter uns. Wie geht es der Luftfahrt-Industrie?
Grundsätzlich haben alle gelitten, weil die Airlines zunächst Investitionen gestoppt und Aufträge bei den Flugzeugherstellern teilweise storniert oder verschoben haben. Große Unternehmen wie Airbus haben die Zeit mit entsprechenden Rücklagen überbrückt, kleinere oder mittelständische Betriebe mussten unserer Erfahrung nach deutlich mehr kämpfen. Allerdings haben die großen Unternehmen weiterhin versucht Lieferketten auch in der Krise bestmöglich aufrecht zu erhalten und z. B. an entsprechenden Lieferverträgen mit den Zulieferern festgehalten. Das hat sicherlich geholfen. Auch die Herstellung von kleinerem Fluggerät für die General Aviation war nicht so stark von der Krise betroffen und hat die Zulieferer gestützt. Ab einem gewissen Zeitpunkt gab es mit der Aufhebung der restriktiven Reisebeschränkungen dann auch eine leichte Erholung bei den Airlines mit Auswirkungen auf die Investitionen. Zum Beispiel im Kontext Nachhaltigkeit gibt es die Tendenz, dass sich viele Airlines schon jetzt für die Zeit nach der Krise rüsten und sich zukunftssicher aufstellen möchten. Das bedeutet die Fortführung der Flottenerneuerung durch sparsamere Flugzeuge mit modernen Triebwerken zur weiteren Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Von dieser Entwicklung profitiert auch die Luftfahrt-Industrie.

Ein weiterer interessanter Aspekt war, dass der chinesische Markt während der kompletten Pandemie nahezu voll aktiv war, abgesehen von den strikten regionalen Lockdown Maßnahmen. Innerhalb des Landes wurde der Flugbetrieb weiterhin aufrechterhalten und sorgte aufgrund seiner Größe für dementsprechende Nachfrage in der gesamten Luftfahrt-Industrie. Davon profitierten auch kleinere und mittelständische Zulieferer hierzulande. Dementsprechend war die Pandemie für die Industrie am Anfang ebenfalls ein Schock, es waren aber deutlich schneller Aufschwungtendenzen erkennbar, als es bei den Airlines der Fall war.

Thema Innovation. Welche Themen waren in den vergangenen Jahren präsent oder sind es derzeit? Sind aus Sicht der Versicherer neue Risiken dazugekommen?
Ein großes Thema der vergangenen Jahre war und ist der 3D-Druck bzw. die sogenannte additive Fertigung. Hier hat sich aus Versicherer-Sicht die Frage gestellt, wie im Schadenfall die Haftungssituation zu bewerten ist und welche Auswirkungen die Fertigungstechnik auf das Geschäftsmodell unserer Kund:innen hat. Letztendlich haben sich die Fertigungsverfahren gut ergänzt, sodass der 3D-Druck neben den regulären Produktionsverfahren existiert und z. B. im Prototypenbau seine vollen Stärken ausspielen kann. Aber selbst kleinere Triebwerksteile werden mittlerweile in Serie mit dem Verfahren der additiven Fertigung hergestellt.

Aktuell sind die in der Luftfahrt-Industrie tätigen IT-Unternehmen oder Software-Hersteller ein weiteres großes Thema. Denn Flugzeuge sind hoch technologisierte Maschinen, also quasi fliegende Computer. Die Anforderungen und der Einsatz von Software und der Digitalisierungsgrad steigen auch in der Luftfahrt stetig. In Bezug auf die Absicherung ist das für uns im Bereich-Produkthaftpflicht ein Thema, da auch Software als zugeliefertes Produkt gesehen werden könnte. Für Produkt-Haftpflicht-Versicherer kann das im Schadenfall zu schwierigen haftungsrechtlichen Fragen führen, wie beispielsweise die Frage, ob eine Software in den Anwendungsbereich des Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) fällt. Hier ist der Gesetzgeber gefordert und es findet derzeit eine Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie zur Anpassung der Haftungsregeln an das digitale Zeitalter sowie an die Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz auf europäischer Ebene statt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Über Nico Herder
Nico Herder ist seit 10 Jahren im Underwriting von Luftfahrtrisiken bei Delvag aktiv; sein Schwerpunkt liegt im Bereich der Produkt-Haftpflicht-Versicherung. Vorher war er rund 5 Jahre bei der Delvag Gruppe in verschiedenen Positionen – unter anderem als Projektmanager – tätig. In seiner Freizeit fährt er gerne Motorrad und verbringt die restliche Zeit am liebsten mit seiner Familie.


Von Philipp Schmid
Unternehmenskommunikation Delvag
kommunikation@delvag.de